Ein sehr umfangreiches und zugleich faszinierendes Thema ist die Humorallehre, von welcher die Humoralmedizin abgeleitet wird. Wer diesen Begriff näher kennenlernen möchte, beginnt am besten ganz von vorne, bei der Natur. Schon seit langer Zeit beobachten und deuten Menschen die Natur und deren Vorgänge. Daraus entstanden Gesetzmässigkeiten, von welchen sogenannte Prinzipien abgeleitet werden können. Mithilfe dieser Prinzipienlehre versuchte man die Abläufe der Natur für den menschlichen Verstand begreifbar zu machen. Für die TEN ist sie ein gedankliches Werkzeug, um sämtliche Informationen sortieren zu können. So entsteht aus vielen kleinen Puzzleteilchen einer Krankheit ein überschaubares Bild, von welchem sich eine klare Behandlungsstrategie ableiten lässt.

Aus solchen naturphilosophischen Gedanken entstanden verschiedene Erklärungsmodelle der Weltanschauung, darunter finden wir das kosmische Weltbild. Hier geht man davon aus, was sich im Makrokosmos finden lässt, ist auch im Mikrokosmos enthalten, das heisst, was für die Natur gilt,  widerspiegelt sich auch im Menschen. Aus den Prinzipien entspringen die Naturelemente Luft, Feuer, Wasser und Erde, welche in der TEN als Elementenlehre angewendet werden. Überträgt man nun diese auf den menschlichen Körper, spricht man von sogenannten Säften, welche auch Humores genannt werden. In der Naturheilkunde werden die Elemente nun als Sanguis, Chole, Phlegma und Melanchole bezeichnet, welche wiederum für ganz bestimmte Wirkprinzipien stehen. Daher sind mit Säften keine stofflichen Flüssigkeiten gemeint, sondern ihre spezifische Art zu wirken. Jeder Mensch besitzt seine persönliche Optimalmischung der Säfte, welche immer aus allen vier Humores besteht. Gerät diese optimale Mischung aus den Fugen entsteht ein Ungleichgewicht, welches potenziell belastend für den Organismus sein kann und sich als Unpässlichkeit bis hin zur Krankheit bemerkbar machen kann.

Durch Personifizierung der Elemente lassen sich die körperliche Erscheinung, wie auch Charakterzüge und Verhaltensmuster eines Menschen besser zuordnen, dies wird als Temperamentenlehre bezeichnet. Dieser Denkansatz ermöglicht das ganzheitliche Erfassen einer Person, seiner Beschwerden und seines Reaktionsmusters auf innerlich und äusserlich gesetzte Reize. Nachstehend einige Beispiele, wie die spezifischen Merkmale den vier Temperamenten zugeordnet werden.

Sanguiniker: Lebensfreude, Optimismus, Begeisterungsfähigkeit, Leichtsinnigkeit, hohe Risikobereitschaft

Choleriker: Zielstrebigkeit, Ehrgeiz, Durchsetzungskraft, Ungeduld bis hin zur Aggressivität

Phlegmatiker: Geselligkeit, Gutmütigkeit, Verlässlichkeit, Bequemlichkeit, Bewegungsmangel

Melancholiker: Tiefgründigkeit, Philosophie, Querdenken, Misstrauen, Zurückgezogenheit

Aus einer weiterentwickelten Temperamentenlehre entsteht die Konstitutionslehre, bei welcher sich der Therapeut vertieft mit den angeborenen und erworbenen Merkmalen eines Menschen befasst. Sie bildet den gemeinsamen Nenner unterschiedlicher Beschwerden eines Patienten, das heisst verschiedene Krankheitsbilder können auf denselben Ausgangspunkt runter gebrochen werden. Dies ist die höchste Kunst der Naturheilkunde und zugleich der Schlüssel zur langfristigen Aufrechterhaltung eines gesundheitlichen Gleichgewichts. Dadurch können wir das Bild aus vielen kleinen Teilchen nicht nur sehen, sondern auch verstehen.